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Nachteulen und müde Eltern: Ein Expertengespräch zum Thema Baby- und Kinderschlaf

„Schläft es denn schon durch?“ – Kaum eine Frage wird frisch gebackenen Eltern häufiger gestellt. Ob in der Krabbelgruppe, der Kinderarztpraxis, dem Babyschwimmen oder beim gemütlichen Kaffeeplausch, das Schlafverhalten der Kleinsten ist ein Dauerbrenner. Die einen schlafen angeblich von Geburt an durch, die anderen schreien sich in den Schlaf, manche „schlafen“ nur, wenn sie an der Brust dauernuckeln dürfen.

Martina Wolf, Elternbildnerin, ökids Kinder- und Elternberaterin sowie BabyCare-Beraterin, kennt sie alle: erschöpfte Eltern, angespannte Babys, zweifelnde Mütter und hilflose Väter. Wir haben mit ihr über das kindliche Schlafverhalten und sogenannte Schlafprogramme gesprochen. Außerdem hat sie ein paar Tipps, wie Eltern und Kinder wieder zu mehr Ruhe finden können. In diesem Sinne: Gute Nacht!

BabyForum: Liebe Frau Wolf, vielen Dank, dass sie sich mit uns ein Thema ansehen, das viele Eltern bewegt: der Schlaf ihres Babys oder Kleinkindes. Manchmal bekommt man den Eindruck, „schlafen“ sei gewissermaßen eine Erziehungsfrage geworden. Warum beschäftigt uns das Schlafverhalten der Kleinsten so sehr?

Martina Wolf: Meiner Meinung nach liegt das an mehreren Gründen. Zum einen geht es ganz einfach um die Kraft und die Ressourcen der Eltern. Viele Eltern sind überwältigt von der Umstellung, die ein Baby mit sich bringt. 24 Stunden verantwortlich zu sein und sich ganz auf die Bedürfnisse dieses kleinen Menschen einzustellen (einstellen zu müssen), ist anstrengend. Dazu kommt, dass Babys am Beginn mehrmals in der Nacht aufwachen und das einen gewissen Schlafmangel der Eltern zur Folge hat, der rasch an den Kräften zehren kann.

Schläft das Baby nicht, schlafen auch die Eltern oder zumindest ein Elternteil nicht – wer wenig schläft, hat auch wenig Kraft am Tag. Vor diesem Hintergrund ist das große Interesse am Babyschlaf völlig verständlich.

Ein weiterer Grund ist der Druck von innen und außen. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Ein friedlich ein- und durchschlafendes Baby ist auf eine Art ein Erfolg, den Eltern nur zu gerne präsentieren bzw. präsentieren möchten. Schläft das kleine Kind nicht gut ein oder wacht es häufig auf und ist dann mitunter sogar eine Weile wach, wird das von Eltern immer wieder als „Ich habe etwas falsch gemacht.“ verstanden oder es wird von außen so gesehen.

Ein anderer Aspekt ist die Diskrepanz zwischen dem Wunsch und der Realität. Bei der Vorstellung, wie das Leben mit Baby sein wird, entstehen Bilder von inniger Zweisamkeit mit dem Baby, von Babys, die interessiert und zufrieden sind, wenn sie wach sind und friedlich einschlafen, wenn sie müde werden. Die Realität sieht in vielen Fällen anders aus.

Dazu kommt, dass Eltern wissen, dass auch ihr Baby genügend Schlaf braucht für seine Entwicklung. Im Tiefschlaf erholt und regeneriert sich das Baby – im oberflächlichen Schlaf entwickelt sich das Gehirn. Müde Babys und Kinder sind meist irritabler und lassen sich weniger leicht beruhigen, was den Tag mit dem Baby natürlich deutlich anstrengender macht.

Was aktuell auch immer wieder ein Grund für eine rasche Regelung des Schlafverhaltens der Kleinen ist, ist der Wunsch oder die Notwendigkeit der Eltern, rasch wieder beruflich aktiv zu werden. Fällt die Möglichkeit aus, mit dem Kind gemeinsam am Tag „nachzuschlafen“, braucht es ausreichenden Schlaf in der Nacht.

BabyForum: Sprechen wir über das natürliche Schlafverhalten von Babys im ersten Lebensjahr. Was sollten frisch gebackene Eltern darüber wissen?

Martina Wolf: Babys und kleine Kinder schlafen anders als Erwachsene:
Sie verfügen erst mal noch über keinen Tag-Nacht-Rhythmus – der stellt sich nach und nach ein, indem Eltern sie am Tag anders begleiten, als in der Nacht. Aber in den ersten Wochen findet ein Baby seinen Schlaf verteilt auf 24 Stunden in einem etwa zwei -bis vierstündigen Rhythmus.

Der Schlaf von Babys und kleinen Kindern ist zudem anders strukturiert. Erwachsene fallen, kaum dass sie eingeschlafen sind, in einen Tiefschlaf und gelangen später erst in den sogenannten REM-Schlaf, der auch oberflächlicher Schlaf genannt wird. Bei Babys und kleinen Kindern ist das anders. Die erste Schlafphase erfolgt im REM-Schlaf. Schläft das Kind z.B. im Arm eines Elternteils ein und dieser versucht, es abzulegen, wacht es gleich wieder auf und ruft neuerlich nach Nähe. Das liegt daran, dass ungefähr die ersten 20 Minuten im REM Schlaf verbracht werden und das Kind erst nach einer Art Übergangsphase, die auch noch recht „störungsanfällig“ ist, in eine Tiefschlafphase gelangt. Aus Sicht der Evolution macht das Sinn.

Herbert Renz-Polster, der Kinderarzt und Buchautor beschreibt Babys als „Steinzeitkinder“, die heute immer noch dasselbe brauchen, wie vor tausenden Jahren. Damals wie heute fühlt sich das Kind am Körper oder ganz in der Nähe der Eltern besonders sicher. Durch den oberflächlichen Schlaf merkt es gleich, wenn es abgelegt wird (aus seiner Sicht scheint es verlassen worden zu sein) und meldet sich. Erst dann fällt es in einen tieferen Schlaf und ist auch nicht mehr so einfach dabei zu stören.

Während der Nacht lösen sich die unterschiedlichen Schlafphasen (REM-Schlaf, Übergangsschlaf, Tiefschlaf) ab – im ersten Lebensjahr verbringt das Kind insgesamt etwa 40-50% im REM-Schlaf.

Babys und kleine Kinder brauchen Vertrauen, Sicherheit und Körpernähe, um gut einschlafen zu können. Menschen werden unreif geboren – das betrifft auch das Nervensystem, das nach der Geburt noch nicht voll entwickelt ist. Babys können sich noch nicht selbst beruhigen und brauchen deshalb im ersten Lebensjahr die Co-Regulation durch eine/n Erwachsene/n, um gut einschlafen zu können.

Außerdem müssen Babys entspannt sein, um einschlafen zu können. Der klassische Sicherheitscheck lautet: „Bin ich satt, ist mir warm, bin ich müde und ist da jemand und passt auf mich auf und bin ich nicht allein“. Wichtig zu wissen, ist auch: Sind Babys von den Erlebnissen des Tages noch sehr aufgeregt oder wirken Schwangerschaft, Geburt oder eine Trennung direkt nach der Geburt noch nach, bleibt die Anspannung und das Kind findet nicht gut zur Ruhe.

Insgesamt schlafen Babys am Beginn zwischen 16-20 Stunden auf den Tag verteilt. Am Ende des ersten Lebensjahres etwa 10-12 Stunden mit 1-2 Nickerchen am Tag.

Zu guter Letzt ist noch wichtig, dass Entspannung und ein „zur Ruhe kommen“ auch mit der Gehirnentwicklung zusammenhängen und der Schlaf der Kleinen deshalb vielen Änderungen unterworfen ist. So ist es ganz normal, dass das Kind wochenlang gut und tief geschlafen hat und scheinbar von heute auf morgen plötzlich wieder häufiger aufwacht.

BabyForum: Und wann spricht man von Schlafstörungen? Wo liegt die Grenze zwischen einfachen Schlafproblemen und ernst zu nehmenden Störungen des kindlichen Schlafs?

Martina Wolf: Ein Schlafproblem ist etwas ganz Subjektives und fußt auf Erwartung, Wissen und Ressourcen der Eltern sowie auf den Inputs von außen (andere Eltern, Verwandte). So kann etwas rascher als Problem empfunden werden, wenn von vornherein wenig Kraft da ist oder es kann etwas zum Problem werden, was in der Familie selbst als ok, bis gut eingestuft wurde, wenn es von außen zu einer Be- oder Abwertung kommt. Zum Beispiel können Eltern es sehr genießen, ihr kleines Kind im Elternbett zu haben und über die Nacht zu begleiten und durch den Input von außen „Was, DAS macht ihr“, entsteht eine veränderte Bewertung und es wird zum Problem.

Oder Eltern erleben etwas als problematisch, wie z.B. das häufige Aufwachen des Babys während der Nacht, weil sie vorher nicht informiert waren, dass es so sein wird. Diese Liste könnte ich jetzt lange fortsetzen. Der Punkt ist: Was ein Problem ist und was nicht, ist eben sehr individuell und subjektiv.

Von Schlafproblemen wird auch gesprochen, wenn das Ein- und Durchschlafen vorübergehend schwieriger ist, weil das Kind z.B. Schmerzen hat, einen besonders aktiven Tag hatte, die Eingewöhnung gerade viel Kraft von ihm fordert, es in den vergangenen Tagen verschiedene Betreuungspersonen hatte oder es einen Entwicklungsschub hat und deshalb deutlich verändert schläft.

Von einer Schlafstörung spricht man dann, wenn sich das Problem über einen längeren Zeitraum regelmäßig und häufig zeigt. Man beschreibt Ein- und Durchschlafstörung, nächtliches Aufwachen/Hochschrecken, wie Nachtschreck oder Schlafwandeln.

Ein paar Beispiele: Manchmal kann es Stunden dauern, bis das Kind eingeschlafen ist und damit das überhaupt gelingt, probieren Eltern Verschiedenes zur Beruhigung aus oder das Kind fordert vehement Körperkontakt zum Einschlafen, kommt aber auch bei diesem nicht zur Ruhe, macht sich steif und drückt sich weg, um ihn dann, wenn es abgelegt wird, wieder zu fordern.

Manchmal findet ein Baby oder ein kleines Kind nur zur Ruhe, wenn es lange herumgetragen wird oder es wacht über Wochen alle 20-30 Minuten in der Nacht auf und beruhigt sich nur am Busen – das klassische Dauernuckeln. In solchen Fällen kommen weder Mutter noch Kind in einen erholsamen Tiefschlaf. Haben sich solche Ein- und Durchschlaf-Gewohnheiten eingeschlichen und halten diese Eltern sowie Kind von einem erholsamen Schlaf ab, ist es wichtig hier etwas zu verändern. Manchmal braucht es dafür Hilfe von außen.

Andere Kinder weinen/schreien sich in den Schlaf. Hier kann schon eine viertel Stunde für Eltern sehr belastend sein – oft dauert es deutlich länger. Auch hier ist es wichtig, gut hinzuschauen, welche Gründe dahinter liegen könnten, dass sich das Kind in den Schlaf weint.

BabyForum: Nicht nur das Umfeld, sondern auch die Eltern selbst erwarten von ihrem Kind, dass es oft schon nach wenigen Wochen durchschläft und sie auch wieder zu mehr Ruhe finden. Geht die Rechnung auf?

Martina Wolf: Ja, das rasche Durchschlafen des Babys ist ein Wunsch vieler Eltern. Das Bedürfnis ist ja auch nachvollziehbar, dennoch bleibt es ein Wunsch. Babys schlafen nicht durch. Ein Durchschlafen, im Sinne von am Abend einschlafen und erst in der Früh wieder aufwachen, gibt es generell nicht – weder bei den Kleinen noch bei den Großen. Der Schlaf erfolgt in Zyklen und Wellen und es gibt immer ein kurzes Aufwachen dazwischen – auch bei älteren Kindern und Erwachsenen, nur können sich diese dann am Morgen kaum mehr erinnern, dass sie kurz wach waren. Die wichtige Frage hier ist, ob und wie es gelingt, wieder weiter zu schlafen. Durchschlafen eines Babys bedeutet, dass es etwa 4-5 Stunden am Stück schläft bzw. seine Schlafzyklen verbindet, ohne Unterstützung beim Weiterschlafen zu brauchen. Diese Form des Durchschlafens ist lange nicht möglich. Einerseits wegen dem fehlenden Tag-Nacht-Rhythmus (über den haben wir schon gesprochen) und weil es in den ersten Wochen und Monaten wichtig ist, auch in der Nacht Nahrung aufzunehmen, aber auch, weil sich das Kind eben noch nicht alleine beruhigen kann und zum Weiterschlafen die Rückversicherung braucht, dass jemand da ist. Das macht die Nächte am Anfang für die Eltern so anstrengend.

BabyForum: So genannte Schlafprogramme suggerieren, dass man Kindern das Schlafen beibringen kann. Die dabei empfohlenen Methoden, wie zB das Weinen des Babys zu ignorieren, sind durchaus umstritten. Manche Familien schwören dennoch darauf. Was können Sie uns darüber sagen?

Martina Wolf: Babys und kleine Kinder MÜSSEN NICHT schlafen LERNEN. Das können sie von Anfang an und passen sich nach und nach unserem Schlafrhythmus an, wenn wir sie dabei unterstützen.

Ich kenne einige Schlafprogramme, allerdings sicher viele auch nicht, weil ich überzeugt davon bin, dass diese nicht notwendig, manche sogar schädlich, sind. Die Schlafprogramme, die Sie in der Frage meinen, enthalten Anleitungen für die Eltern, wie diese das Schreien und Weinen, also das Rufen des Kindes nach seiner Bezugsperson, bewusst und gezielt ignorieren. Das Kind wird ins Bett gelegt, verabschiedet (durchaus liebevoll) und dann wird der Raum verlassen. Weint das Kind, also ruft es nach der Bezugsperson (was ganz natürlich ist und einem basalen Bedürfnis des Kindes entspricht), geht der Elternteil zum Kind, legt es wieder nieder, streichelt es vielleicht kurz, nimmt es aber auf keinen Fall aus dem Bett, und verlässt dann wieder den Raum, um dieses Mal, falls das Kind wieder zu weinen beginnt, eine längere Zeit zuwarten, bis zum Kind gegangen wird.

Die Argumentation dahinter ist, dass das Kind durch das Strecken der Intervalle nun lernt, dass es sich selbst beruhigen kann und deshalb weniger nach den Eltern ruft, sprich weniger oft weint. Was aber eigentlich passiert, ist, dass das Kind, nach unzähligen Rufen nach den Eltern, die entweder nicht oder verzögert und auch nur sehr reduziert (der ersehnte und dringend notwendige Körperkontakt bleibt aus) beantwortet werden, einfach aufhört, zu rufen. Und genau das ist das Verführerische für manche Eltern und das Fatale für die Kleinen. Tatsächlich melden sich dann viele Kinder weniger, schlafen alleine ein und länger durch. Allerdings nicht, weil sie gelernt haben zu schlafen, sondern weil sie gelernt haben, dass niemand für sie da ist, niemand auf ihr Bedürfnis reagiert. Sie geben auf und verhalten sich still. Das kann dann u.a. zu negativen Folgen für die Ausbildung des Urvertrauens und der Bindungsqualität führen.

Wieder andere Programme raten Eltern, einen fast minutiösen Tagesplan zu erstellen und einen sehr fixen Tages-Rhythmus einzuhalten, mit der Begründung, dass die Kinder dann besser schlafen. Eine gewisse Struktur ist sicher förderlich und eine Form von ersten Zu-Bett-Geh-Ritualen tut sicher Eltern und Kindern gut. Meiner Meinung nach reduziert jedoch eine zu starre Struktur den Spielraum für Veränderung und tagesabhängig unterschiedliche Bedürfnisse. Das Gute an solchen Programmen ist, dass kurzfristig der Fokus vom Kind abgezogen wird, das unbedingt schlafen soll, weil Eltern mit ihren Tagesplänen beschäftigt sind. Das Schlechte ist, dass die Beziehung darunter leidet, aber auch, dass Eltern ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie einmal länger mit dem Kind unterwegs waren, der Besuch lauter war oder sie sonst die Struktur des Tagesplans verlassen haben. Ein schlechtes Gewissen ist ein ganz übler Begleiter im Kontakt mit den Kleinen.

Was ich an den meisten Schlafprogrammen kritisch sehe, ist, dass die Frage nach den Gründen für die Schwierigkeiten beim Ein- und Durchschlafen zu wenig bis keine Beachtung finden. Aber dort ist meiner Auffassung nach die Antwort zu finden.

BabyForum: Nehmen wir an, eine Familie ist an jenem Punkt angelangt, an dem gar nichts mehr geht. Das Baby schläft nicht, die Eltern sind müde, erschöpft und überfordert. Mit jedem Versuch, das Kind zu Bett zu bringen, verschlimmert sich die Situation. Was können Eltern tun, um diesen Kreislauf zu durchbrechen und wohin kann man sich wenden, wenn man es selbst einfach nicht mehr schafft?

Martina Wolf: Ein Aspekt sind die Ressourcen der Eltern: Was es hier einerseits dringend braucht, ist, dass die Eltern (bzw. der belastete Elternteil) wieder in ihre Kraft kommen, dass sie entweder einander in der Nacht abwechseln oder Verwandte und Freunde einspringen und mithelfen. Ist es in der Nacht schwierig, dass jemand unterstützt, könnte zB auch einmal jemand tagsüber mit dem Baby spazieren gehen, während die Eltern (der Elternteil) schlafen und wieder Kraft tanken.

Ein anderer Aspekt sind die Gründe für die Unruhe. So ist dringend zu klären, warum das Kind nicht in den Schlaf findet, was ist für die überreizten Zustände im Kind verantwortlich? Ist zu viel Unruhe da oder werden ganz grundlegende Bedürfnisse des Kindes nicht erfüllt (es ist nicht satt, nicht müde, niemand ist da), wirken vielleicht frühere Erlebnisse, wie eine schwierige Geburt oder eine Trennung nach der Geburt nach oder sind die Eltern in einer schlimmen Anspannung durch die Situation oder sind gar andere Dinge zusätzlich belastend, wie zB ein Todesfall in der Familie? Es gibt viele Gründe, die auch Kindern den Schlaf rauben.

Hilfe finden Eltern zum Beispiel

Darüber hinaus gibt es in Österreich verschiedene andere Therapie- und Beratungsangebote.

BabyForum: Bleiben wir noch kurz bei jenen Dingen, die Eltern selbst versuchen können. Manchmal klappt es plötzlich besser, wenn der Papa das Ruder am Abend oder in der Nacht übernimmt. Warum ist das so?

Martina Wolf: Auch das kann verschiedene Gründe haben.
Einerseits geht es auch hier um Ressourcen. Wer von der Betreuung während des Tages schon erschöpft ist, ist kein guter Begleiter/keine gute Begleiterin beim Einschlafen. Der Elternteil, der diese Belastung während des Tages nicht hatte und sich auf die gemeinsame Zeit mit dem Kind freut und sie genießt, bringt hier gleich von vornherein mehr Ruhe in das Zu-Bett-Geh-Szenario.

Es geht auch um die Erwartung an das Kind. Ist es für den Elternteil ganz dringend notwendig, dass das Kind rasch einschläft, weil dann noch etwas Wichtiges erledigt werden will, verhindert genau das das Einschlafen. Das Kind spürt die Anspannung der Eltern/des Elternteils und übersetzt das als „Hier ist Gefahr“ und wird unruhiger.

Weinen und Schlafen hängen zusammen und bedingen einander. Eltern mit einem Kind, das gerade am Abend besonders viel weint und schreit, bauen mitunter, kaum, dass sich die Schlafenszeit nähert, eine innere Anspannung auf, aus Angst vor dem Schreien. Das Ergebnis ist dasselbe wie oben:
Anspannung = Gefahr = Unruhe im Kind.

Ein Aspekt ist mir noch wichtig, das ist das „JEIN“. Ein Beispiel: Das Kind kann in der Nacht nur Weiterschlafen, wenn es herumgetragen wird, etwas, das für Eltern wirklich eine Herausforderung und Strapaze sein kann. Trägt ein Elternteil das Kind dann herum und findet das kuschelig und schön, weil es so ein ruhiger besonderer gemeinsamer Moment ist, dann ist ja alles OK, weil es allen gut geht. Macht das ein Elternteil aber mit einem Gefühl von: „Ich hasse es, immer wieder aufzustehen und herumzugehen. Ich möchte das nicht, ich schaffe das nicht, aber es geht ja nicht anders, weil es sonst schreit“, dann passieren zwei Dinge.

Einmal bekommt das Kind eine doppelte Botschaft: Nämlich ja und nein zugleich: Jein. Das erzeugt zum einen schon eine gewisse Unruhe im Kind. Aber das Kind bekommt zudem auch die Verantwortung für die Situation und das ist gleich die nächste Dosis Unruhe.

Zusammengefasst möchte ich sagen, dass die inneren Zustände des Elternteils, der das Kind in den Schlaf bzw. durch die Nacht begleitet, besonders wichtig dafür sind, dass das Kind einschlafen bzw. weiterschlafen kann. Das Baby findet einfacher in den Schlaf, wenn es von jemandem begleitet ist, der nicht oder weniger belastet, angespannt und ängstlich ist und ohne Erwartungsdruck da ist und dabei keine Angebote setzt, die er/sie nicht machen möchte.

BabyForum: Der Druck, der heutzutage auf Müttern und Vätern lastet, ist enorm groß. Mamas möchten ihr Kind perfekt erziehen, Papas die perfekten Vorbilder sein – am Ende soll dabei natürlich auch das perfekte Kind stehen. Daraus entwickelt sich mitunter ein regelrechter Wettbewerb, die Verunsicherung der Eltern bleibt jedoch. Erleben Sie dieses Phänomen auch in Ihrer Praxis?

Martina Wolf: Ja – das kenne ich. Ich erlebe immer wieder, dass Eltern sich selbst sehr viel Druck machen und auch sehr rasch mit sich und ihrem Tun ins Gericht gehen. „Ich hab alles falsch gemacht“. Dazu kommt der Druck von außen: „Hast Du schon…“ oder „Du solltest,…“ Und ich beobachte immer wieder, dass Eltern die Entwicklung ihrer Kinder oder deren Verhalten vergleichen. Was kann dieses Kind, wie macht es jenes. Dieses Vergleichen betrifft dann natürlich auch das Thema Schlafen. Ein Phänomen ist aber auch die Abwertung anderer aus der Beobachtung heraus. „Schau Mal, was DIE macht?“

Entlastend finde ich Elterngruppen. In unseren Gruppen gehen die Eltern sehr wertschätzend miteinander um und erfahren Entlastung und Bestärkung im eigenen Tun. „Ah ja, ihr habt ein Familienbett!“ oder „OK, so oft wacht sie auf und Du nennst das Durchschlafen“ Elterngruppen halte ich für immens wichtig. Einerseits weil es eine Möglichkeit für Eltern ist, sich Inputs zu holen, aber vor allem, weil die Gruppe an sich eine Ressource ist.

BabyForum: Der Babytherapeut Thomas Harms hat ein neues Buch mit dem Titel „Keine Angst vor Babytränen – Wie Sie durch Achtsamkeit das Weinen Ihres Babys sicher begleiten“ auf den Markt gebracht. Was raten Sie Eltern, die sich vielleicht schon tagsüber vor dem Einschlafen und den Tränen ihres Babys fürchten?

Martina Wolf: Ein guter Rat wäre wohl, das neue Buch von Thomas Harms zu lesen. Thomas Harms beschreibt in seinem Buch unter anderem das Selbstanbindungskonzept. Hier geht es darum, wie Eltern mit sich selbst und ihren Gefühlen in Kontakt treten und wahrnehmen, was das Weinen des Babys in ihnen selbst auslöst. Zur eigenen Regulation ist im Buch die Bauchatmung beschrieben, die beruhigend auf das eigene Stress-System wirkt. Zudem wird durch das bewusste Atmen einerseits der Fokus vom Kind etwas abgezogen (weil die Konzentration ja der eigenen Atmung gilt) und die Ruhe überträgt sich auf das Kind.

Weint ein Kind immer wieder am Abend heftig, bevor es einschläft, ist organisch alles abgeklärt und die klassischen Bedürfnisse gestillt, braucht es häufig „nur“ den Mut und die Kraft der Eltern, das Weinen des Kindes entfalten zu lassen. Babys erzählen auf diese Art ihre Geschichte: Sie erzählen von Erlebnissen während der Geburt, Trennungen nach der Geburt oder sie bearbeiten aktuellen Stress. Im Gegensatz zum „Schreien lassen“ ist dieses Weinen liebevoll von den Eltern begleitet und gehalten. Bis die „Geschichte“ erzählt ist.

Auch das ist sehr praxisnah und anschaulich im Buch beschrieben. Unterstützung dieser Art finden Eltern durch BeraterInnen für Emotionelle Erste Hilfe.

Buchtipps:

  • Harms, Thomas: Keine Angst vor Babytränen - Wie Sie durch Achtsamkeit das Weinen Ihres Babys sicher begleiten, Psychosozialverlag, 2018.
  • Largo, Remo: Babyjahre. Entwicklung und Erziehung in den ersten vier Jahren. Piper Verlag, München 2017.
  • Lüpold, Sibylle: Ich will bei euch schlafen! (Ein)Schlafen lernen mit Co- Sleeping. Urania Verlag, Stuttgart 2009 / 2014
  • Renz-Polster, Herbert &Imlau, Nora: Schlaf gut, Baby! Der sanfte Weg zu ruhigen Nächten. GU Verlag, München 2016

Wir bedanken uns recht herzlich bei Frau Wolf für dieses aufschlussreiche Gespräch. Informationen zu Frau Wolf und ihrer Arbeit findest du auf der Website der Kinderpraxis Augarten. Ihren Vortrag zum Thema Baby- und Kinderschlaf im Rahmen des zweiten BABY ACADEMY Austria Day am 05. Oktober 2018, findet sich auf dieser Webseite.

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